Klappentext:
In „Balanceakt“ vermittelt Gerd Heuschmann, warum es nur eine Art richtiger Reit- und Pferdeausbildung geben kann, was von Anfang an berücksichtigt werden muss und wie man alle elementaren Fehler am gerittenen Pferd erkennt, künftig vermeidet und vielleicht beheben kann. Besondere Aufmerksamkeit widmet Heuschmann dem Sitz des Reiters und damit seiner feinen Einwirkung. Das Buch ist ein praktisches Arbeitsbuch für den fortgeschrittenen Reiter und den Ausbilder und enthält erstmals die biomechanische Analyse von ausbildungsbedingten Bewegungsstörungen wie Zügellahmheit. Tierärzten ermöglicht das aufwändig gestaltete Werk einen umfassenden Blick auf das lahme Pferd, und es werden diverse Lösungsansätze für die unterschiedlichen Typen von Korrekturpferden vorgestellt. „Balanceakt“ ist hilfreich bei der Ausbildung aller Pferderassen und für jede Reitweise und liefert Gerd Heuschmann eine gekonnte Vorlage für den aktiven Tierschutz!
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Titel: Balanceakt: Wie Pferde geritten werden müssen, damit sie gesund bleiben
Autor: Gerd Heuschmann
Verlag: KOSMOS
Seiten: 256
ISBN: 978-3440145333
Meine Bewertung: 1 Stern – gefällt mir gar nicht |
Der erste Eindruck:
Das Buch kommt optisch sehr ansprechend daher. Es ist reich bebilder und vermittelt mit den Kapiteleinleitungen und dem gewählten Layout einen klassischen und professionellen Eindruck. Mit insgesamt 256 Seiten lässt sich einiges an Inhalt vermuten.
Da ich ein Buch erwartet hatte, welches sich vor allem biomechanischen Zusammenhängen widmet, erstaunten mich jedoch die sehr spärlich gesäten anatomischen Grafiken und Bilder.
Inhaltlicher Überblick:
Auf der ersten Seite findet man eine Widmung des Autors, welche mich ein bisschen irritiert hat.
Er schreibt: „Gewidmet allen die mich mögen – oder auch nicht!“
Gefolgt von einer Doppelseite voller Namen. In der Mitte sein in Sepia gehaltenes, etwas trotziges Portrait (im Stil von Anfang 20.Jh).
Auf mich wirkte das ein bisschen überheblich.
In den ersten sieben Kapiteln (Umfang ca. 27% des Buches) äussert sich der Autor zu seinen Ansichten über den aktuellen Reitsport und die Wichtigkeit der Ausbildung von Reiter und Pferd.
Dabei streift er auch die Themen Horsemanship und das Reiten mit feinen Hilfen.
Leider bleibt er dabei meistens sehr oberflächlich und wenn etwas detailliert erläutert wird bleiben für den halbwegs versierten Reiter Fragezeichen stehen, warum denn nicht einfach korrektes Reiten propagiert wird, anstelle von Symptombewältigung.
(z.B. S.75-77; Zügelhilfen und Zügelführung, Litauer Zügelführung)
Kapitel 8-14 widmet sich der Ausbildungsskala gemäss H.Dv.12, mit einem Zwischenkapitel in dem es um die Umsetzung der Skala im aktuellen Dressursport geht (Umfang ca. 27% des Buches)
In diesen Kapiteln stellt er wiederholt die Skala als einzig richtiger Ausbildungsweg dar.
Biomechanische Zusammenhäng werde eher oberflächlich behandelt.
Die nächsten drei Kapitel widmen sich den, meiner Meinung nach, eigentlichen Kernthemen zum Thema Balance und Gleichgewicht. Dem Genick, der Maultätigkeit und der Balanceverschiebung. (mit 27 Seiten leider nur ca. 11% des Gesamtwerkes)
Interessanterweise erscheinen in diesen Kapiteln plötzlich Zitate von François Robichon de la Guérinière, und auch François Baucher wird heran gezogen.
Leider scheint sich der Autor mit der Légèretée nicht wirklich befasst zu haben, sonst hätte er den Hintergrund der „cession de mâchoire“ (auslösen des Schluckreflexes) wahrscheinlich nicht als Kritikpunkt angeführt.
Es folgen 19 Seiten (drei Kapitel), in denen auf die Zügellahmheit, den Tierarzt im politischen Spannungsfeld und einer Hypothese zur „Berufskrankheit“ Fesselträgerschaden eingegangen wird.
Diese Problematiken werden biomechanisch auch nur vage erläutert.
Zum Schluss des fachlichen Teils des Buches widmet sich Herr Heuschmann in sechs Kapiteln Korrekturansätzen für verrittene oder verspannte Pferde.
Leider wird auch dieses wichtige Thema sehr oberflächlich behandelt. Der Versuch ein Pferd nach diesen Vorschlägen zu korrigieren ist meiner Meinung nach für das Zielpublikum dieses Buches nicht umsetzbar.
Zusammenfassung:
Einleitend widmet Herr Kurd Albrecht von Ziegner der H.Dv.12. eine dreiseitige Laudatio (Sogar der Titel dazu war ‚Laudatio auf die H.Dv.12‘).
Und genau das beinhaltet dieses Buch!
Auch der Autor verhehlt dies nicht, wenn er in seiner Zusammenfassung auf Seite 243 einleitend schreibt: „In dem vorangegangenen Text wird ausführlich der Hintergrund unserer seit ca. 100 Jahren gültigen Reitlehre erklärt.
Im Fachteil des Buches werden keine anderen Ausbildungsansätze zugelassen als die der H.Dv.12.
Wenn andere Reitlehren erwähnt werden, dann nur um sie als fehlgeleitet oder unvollständig dar zu stellen.
Zum Beispiel werden üble Reitfehler praktisch immer mit Bildmaterial aus der Isländer- oder Westernszene dokumentiert. Einzig bei der Rollkur sieht man auch Bilder aus dem Dressursport.
Die Themen werden praktisch überall nur gerade so tief angeschnitten, dass man irgendwas Biomechanisches dazu schreiben kann, ohne wirkliche Antworten zu liefern.
So werden die wichtigsten Rumpfträger, M. Serratus ventralis thoracis & -cervicis, ebenso ausser Acht gelassen, wie die M. Psoas major & -minor, welche für das Beugen der Hüfte und das steiler stellen des Beckens verantwortlich sind.
Alle Grafiken in denen der M. Serratus ventralis cervicis (oberer Rumpfträgermuskel) eigentlich sichtbar wäre, wird stillschweigen suggeriert, er gehöre zum M. Longissimus dorsi (langer Rückenmuskel).
Gemäss Autor erhöhen die M. Pectoralis (gesamte Brustmuskulatur) und die Bauchmuskulatur automatisch ihren Grundtonus wenn sich die obere Muskelkette spannt (S.102). Es ist unklar, ob er die Rückenmuskulatur oder alle über der Wirbelsäule liegenden Muskeln meint.
Wenn dies der Fall wäre, würde meiner Auffassung nach aber die Bewegungsfreiheit der Vorhand durch die erhöhte Spannung im M.Pectoralis profundus & -superficialis descendens gehemmt, was ein gelöstes Vorwärtstreten verunmöglicht.
Weitere für mich rätselhafte oder auch widersprüchliche Aussagen fand ich zum Thema Dehnungshaltung und dem Rücken wölben.
So heisst es auf S.82 zum 1. Ziel der Ausbildung:
„Das Pferd muss in den ersten Monaten lernen den Reiter in einer natürlichen Körperhaltung zu tragen.“ (unter „natürliche Körperhaltung“ versteht er die Haltung die ein Pferd in den einzelnen Gangarten ohne Reiter frei laufend annehmen würde)
Auf der nächsten Seit wird in einem Bildtext aber erwähnt, das Pferd müsse erst lernen sich unter dem Reiter V/A zu dehnen. Was kommt jetzt zuerst? Die natürliche Aufrichtung oder das V/A?
Zum Rückenwölben und Anheben der Vorhand wird auf S.87 geschrieben:
Der lange Rückenmuskel kann nur von seiner hinteren Basis (Dornfortsätze des Kreuzbeins und Darmbeinschaufeln) aus die Vorhand heben und den Rücken wölben.“ (wenn er von seiner vorderen Basis aus arbeite, würde der Rücken absinken)
Ich verstehe nicht, wie ein Muskel der parallel über der Wirbelsäule verläuft, diese nach oben wölben und erst noch die Vorhand anheben kann. Das anheben der Vorhand von hinten ist meines Wissens nach nur in höchster Versammlung möglich (z.B. bei der Levade). Die Versammlung kommt aber gemäss Skala erst ganz am Schluss.
Es gibt noch einige andere, für mich ähnlich komische Erläuterungen im Buch.
Diese aber alle hier zu beschreiben, würde den Rahmen sprengen.
Was den textlichen Inhalt im Allgemeinen angeht, so werden ausserordentlich viele Zitate vergangener Reitmeister aufgeführt und mit eigenen Worten weiter vertieft.
Man könnte den Eindruck bekommen, es würden vor Allem alte Weisheiten neu verpackt aber keine eigenen Erfahrungen vermittelt. (ausser bei der Litauer Zügelführung, die kommt definitiv vom Autor)
Das abschliessende Appel des Autors, unterschiedliche Ausbildungsziele anzuerkennen und dogmatische Mauern einzureissen, haben mich dann vollends umgehauen.
Hier ein paar Ausschnitte daraus:
„…Wir sollten aufhören, übereinander, sondern viel mehr miteinander zu reden.“ (Toll)
„…Wir brauchen weder eine neue Reitlehre, noch kann es eine neue, schlüssige geben.“ (Wie jetzt?)
„…Wie können Leute glauben, innerhalb kürzester Zeit (ein paar Jahre) ein solches System infrage stellen und ein äusserst fragliches Konzept als Lehre in den Raum stellen zu können? Von unseren Verbänden würde ich in einer solchen Situation sofort einen kompetenten und kämpferischen Einsatz erwarten.“ (Gibt es jetzt Krieg oder Dialog? Und um welches „fragliche Konzept“ geht es denn eigentlich?)
„…Wann kommt es endlich zu einem Austausch der Pferdeleute untereinander? Wir brauchen keine Gurus und neue Heilsbringer. Die klassische Reitlehre beantwortet alle Fragen derer, die im Sinne der FN Pferdeausbildung betreiben wollen.“ (und wie ist es mit den Fragen der Anderen?)
Und als Schlusswort: „…Ich wünsche unseren Funktionären grossen Mut, eine sichere Hand und ein treffsicheres Gespür für die Steuerung des ‚schönsten Sports der Welt‘ in die Zukunft.“
Ist es wirklich so, dass er alle Ausbildungsziele anzuerkennen will? Die schwarzen, roten, gelben UND die richtigen?
Ich weiss nicht, irgendwie erinnert mich das an eine ganz dunkle Zeit in Europa.
Meine Quintessenz:
Dieses Buch ist meiner Meinung nach eine mittelmässige Propaganda eines stark unter Druck stehenden Systems.
Die H.Dv.12 wird darin in z.T. recht arroganter Weise als einzig richtiger Weg deklariert.
Da kann man schon fast zum Schluss kommen, die FN möchte damit ihre „Schäfchen“ dringend davor warnen den „heiligen“ Weg zu verlassen, sonst würde übles geschehen.
Gastrezension verfasst von R. Berger.